Mit der 2020 etablierten Christoph Probst Lecture will die Universität Innsbruck alljährlich an ihren kurzzeitigen Medizin-Studenten Christoph Probst erinnern. Er wurde in Innsbruck festgenommen und am 22. Februar 1943 in München-Stadelheim als Mitglied der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ gemeinsam mit den Geschwistern Scholl durch das NS-Regime hingerichtet. Das Ziel der Christoph Probst Lecture ist es, im Rahmen von Vorträgen renommierter Fachleute, die Ideale der „Weißen Rose“ – Freiheit, Demokratie und Zivilcourage – zu reflektieren und weiterzutragen.
2022 Wolfgang Petritsch: Demokratie in Gefahr – Brauchen wir eine neue Ethik für das digitale Zeitalter?
Der Vortrag stand unter dem Eindruck des Überfalls Russlands auf die Ukraine, auf den Wolfgang Petritsch in seinen Ausführungen über die nachhaltigen Veränderungen unserer Weltordnung immer wieder Bezug nimmt. Im Zentrum stand daneben die digitale Vernetzung aller Bereiche unseres Lebens und der globalen Wirtschaft, die Informationshoheit der großen Plattformkonzerne der Sozialen Medien sowie rasant fortschreitende Entwicklungen auf den Gebieten der künstlichen Intelligenz und des Machine Learning, die zunehmend als Bedrohung für die liberalen-demokratisch verfassten Gesellschaften und die internationale Sicherheit wahrgenommen werden. Digitale Echokammern wirken als Brandbeschleuniger für gesellschaftliche Polarisierung und Radikalisierung, während die Automatisierung der Wirtschaft die sozio-ökonomische Ungleichheit verschärft und Wasser auf den Mühlen von Populisten ist. Gezielte Desinformationskampagnen und großangelegte Cyberangriffe verwischen zunehmend die Grenzen zu kriegerischen Handlungen in den internationalen Beziehungen. Und im Zusammenhang mit dem Wettlauf um Technologieführerschaft in Bereichen wie Quantencomputern und Kryptographie ist längst von einem neuen Kalten Krieg zwischen den USA und China die Rede. Die Giganten der Internetkonzerne entziehen sich bislang erfolgreich staatlichen Regulierungsbemühungen und den Formationen der Global Governance.
2021 Shalini Randeria: Spielarten des „sanften“ Autoritarismus – Wie Demokratien demokratisch ausgehöhlt werden
Im Mittelpunkt des Vortrags steht der widersprüchlich anmutende Begriff des „sanften“ Autoritarismus (soft authoritarianism). Er bezieht sich auf Demokratien, die in vielen Teilen der Welt von zunehmend autoritären Praktiken gekennzeichnet sind. Gegenwärtig werden liberale Werte wie Institutionen mit formalen, rechtstaatlichen Mitteln von durch Wahlen legitimierten Politikern unterminiert, die somit die Grundlagen von Demokratie von innen aushöhlen. Anhand von Beispielen wie voter suppression und gerrymandering in den USA, autocratic legalism in Polen und Ungarn sowie Angriffen auf die Pressefreiheit, auf zivilgesellschaftliche Organisationen oder die Universitätsautonomie in der Türkei, wird im Vortrag hinter die „sanften“ Züge dieser neuen Ausprägung von Autoritarismus geblickt. Ferner wirft der Vortrag die dringliche Frage nach den Möglichkeiten sowie Grenzen zivilgesellschaftlichen Widerstands gegen diesen weichgezeichneten Autoritarismus auf.
Shalini Randeria ist Rektorin des Instituts für die Wissenschaften vom Menschen IWM, Wien, und Professorin für Sozialanthropologie am Graduate Institute of International and Development Studies IHEID, Genf, wo sie das Albert Hirschman Centre on Democracy leitet. Sie ist darüber hinaus Inhaberin des Excellence Chair an der Universität Bremen und Distinguished Fellow an der Munk School of Global Affairs and Public Policy der University of Toronto.
2020 Oliver Lepsius: Hans Kelsen, der österreichische Verfassungsvater, und sein Eintreten für Freiheit und Demokratie
Wie kann der Volkswille repräsentiert werden? Sind parlamentarische oder direktdemokratische Systeme überlegen? Wie lässt sich die individuelle Freiheit in einer demokratischen Herrschaftsordnung aufrechterhalten und sichern? Soll Demokratie aus der Perspektive der Mehrheit oder der Minderheit gerechtfertigt werden? Anhand dieser Fragen führte der deutsche Rechtswissenschaftler Oliver Lepsius in die staatsrechtlichen Lehren Kelsens ein und schlugt einen Bogen zu aktuellen Gefährdungen der repräsentativen Demokratie durch populistische Strömungen.
Oliver Lepsius studierte Rechtswissenschaft in Bonn, München und Chicago. Nach Professuren in Heidelberg und Bayreuth lehrt er heute Öffentliches Recht und Verfassungstheorie an der Uni Münster. Er war Gastprofessor u.a. in Paris und Osaka und ist Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. In der Forschung beschäftigt er sich mit staats- und verwaltungsrechtlichen Fragen mit rechtstheoretischen, -historischen, -philosophischen, -vergleichenden oder interdisziplinären Bezügen.